Das Göschenhaus in Grimma ist der Sitz der Seume-Gesellschaft.

Die Johann-Gottfried-Seume-Gesellschaft "Arethusa"

Eine Reise auf den Spuren Seumes

Wenn „Schreiben am Meer“ und Sizilien zusammenkommen, ist es zu Johann Gottfried Seume nicht weit. Der berühmteste Spaziergänger deutscher Sprache bringt 1803 seinen „Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802“ heraus, Darin wirft er einen anderen Blick auf das „Land, wo die Zitronen blühn“, einen Blick jenseits bürgerlicher Antikenseligkeit und einer kenntnislosen Sehnsucht, die von realen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen, wie Seume sie beschreibt und manchmal anprangert, nichts wissen will.

Lutz Simmler ist der 1. Vorsitzende der Internationalen Johann-Gottfried-Seume-Gesellschaft „Arethusa“, die das Andenken eines ungewöhnlichen Mannes bewahrt und sein Erbe weiterträgt. Ich sprach mit ihm darüber, auf welchen Wegen die Seume-Gesellschaft ihrem Namensgeber folgt.

Syrakus war die Metropole ihrer Zeit. Hier traf sich alles, was in der griechischen Zeit Siziliens Rang und Namen hatte. Gäste und Neugierige kamen von überall her in der Welt. Ihr Dasein verdankt die kosmopolitische Stadt der Nymphe Arethusa, die sich in eine Quelle verwandelte, um den Nachstellungen eines Jägers zu entgehen. Die „Fonte Aretusa“ im ältesten Teil von Syrakus lädt bis heute dazu ein, die Geschichte für wahr zu halten.

„Diese Quelle ist, wenn man auch mit keiner Silbe an die alte Fabel denkt, bis heute noch eine der schönsten und sonderbarsten, die es vielleicht gibt. Wenn sie auch nicht vom Alpheus kommt, so kommt sie doch gewiß von dem festen Boden der Insel, und schon dieser Gang ist wundersam genug. Wo einmal etwas da ist, kommt es den Dichtern auf einige Grade Erhöhung nicht an, zumal den Griechen.“

 Johann Gottfried Seume, Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Etliche tausend Kilometer weiter nördlich lektoriert Johann Gottfried Seume (1763 bis 1810) im sächsischen Grimma für seinen Freund, den Verleger Georg Joachim Göschen, die literarischen Größen seiner Epoche, nicht immer zu deren Vergnügen und bald auch nicht mehr zu seinem eigenen.
Seume sinnt auf einen Ausweg. Schließlich schmiedet er einen Plan. 1801 bricht er auf und verbindet Grimma mit Syrakus via Dresden, Prag, Wien, Graz, Lubljana, Triest, Venedig, Bologna, Ancona, Rom, Neapel und Palermo. Er studiert Land und Leute, bürstet, was er sieht, gegen den Strich und und lenkt den Blick immer wieder hinter die Kulissen.

Lutz Simmler, 1. Vorsitzender der Seume-Gesellschaft

Die Internationale Johann-Gottfried-Seume-Gesellschaft „Arethusa“ mit Sitz in Grimma bewahrt das Erbe des ungewöhnlichen Mannes mit Methoden, die weit über trockene Musealität hinausgehen. Seit ihrer Gründung 1998 erweiterte die Gesellschaft das starke regionale Netzwerk weit über die Region und die Landesgrenzen hinaus. Seumes Anziehungskraft ist so groß, dass schnell eine gewisse Dynamik entstand, die mehr und mehr Aktivitäten in Gang setzte.

„Die Gesellschaft lebt von engagierten Enthusiasten, die aus eigener Kraft ein kostbares Erbe bewahren und weitertragen“, erzählt Lutz Simmler. „Seume hat die Herausforderung gesucht, und wir tun das auch.“ Im Jubiläumsjahr der Reise 2002 machten sich seine Anhänger mit dem Fahrrad auf den Weg nach Syrakus. 30 Tage dauerte die Reise entlang des Weges, den der berühmte Spaziergänger nahm. Die Tour war eine Art Pilotprojekt für das große Vorhaben.

„Wir sind dabei, auf Seumes Spuren einen Kulturweg von Grimma nach Syrakus zu schaffen“, erklärt Lutz Simmler. „Auf der Strecke werden wir überall dort, wo Seume Halt machte, Stationen einrichten, Kontakte knüpfen oder vertiefen. Mit anderen Worten: Wir wollen ganz im Sinne Seumes ein internationales Netzwerke schaffen.“

„Rom ist die Kloake der Menschheit gewesen, aber vielleicht nie mehr als jetzt“, war Seumes despektierliches Urteil über die „ewige Stadt“.  Aber sie war eine wichtige Station auf seinem Weg nach Sizilien, und so ist Rom es auch für die Seume-Gesellschaft, die mit der Casa di Goethe und ihrem neuen Direktor Gregor Lersch wichtige Verbündete für ihr internationales Vorhaben gewinnen konnte. Im kommenden Frühjahr nimmt man sich auf einem Freundschaftsspaziergang eine kleine Etappe vor und wandert von der Casa zum Castel Gandolfo.



„Das Schloß Gandolfo oben auf dem Berge ist eine der schönsten Aussichten in der ganzen schönen Gegend.“

Seume, Spaziergang

Auch die Wissenschaft folgt Seume mittlerweile noch etwas zaghaft in seine Welt, die so anders ist als diejenige bildungsbürgerlicher Konventionen. „Der Mann selbst“, so der Titel eines 2003 erschienenen Tagungsbandes in der Herausgeberschaft des großen Seumekenners Jörg Drews, war ein Aufklärer der unbequemen Art, der sich nicht vereinnahmen ließ und freimütig kritisierte, was er für kritikwürdig hielt – vor allem und immer wieder unverdiente Privilegien und Rückfälle in feudale Verhältnisse. Als Seume auf der Rückreise nach Paris kommt, um Napoleon zu sehen, wird er – wie so viele andere – bitter enttäuscht von einem Herrscher, der alles, was überwunden schien, aus den finsteren Kellern der Geschichte hervorholt.

„Die militärische Regierung ist mit dem eisernsten Zwange wieder eingeführt, alle Wahlen sind so gut als aufgehoben, die Juries, als das letzte Palladium der Freiheit, sind vernichtet, und damit die emporstrebende Vernunft der Despotie keine Streiche spiele, ist durch eine gemessene Erziehung sehr klug jeder liberale Forschergeist in Philosophie und Naturrecht verbannt. Ob Bonaparte mit seinem Anhang dabei die menschliche Natur ganz richtig berechnet habe, ist sehr zu bezweifeln.“

Seume, Spaziergang

Der Preis

Gefragt ist ganz im Sinne Seumes ein gesellschafts- und kulturkritischer Ansatz, die Ansprüche sind hoch. Seit 2001 verleiht die Seume-Gesellschaft alle zwei Jahre ihren Literaturpreis für Werke, die sich mit Seume, seinem Erbe und seinem Wirken auseinandersetzen oder die in seinem Sinne einen offenen kritischen Blick auf Welt, Menschen und Verhältnisse werfen. Erlaubt sind Reiseberichte, anspruchsvolle Sachliteratur, aber auch Romane.

„Der Preis ist zu einer begehrten Auszeichnung für Autorinnen und Autoren und ihre Verlage geworden“, freut sich Lutz Simmler und beschreibt den Gewinn für alle Beteiligten. „Die Gesellschaft wird dadurch bekannter und gewinnt weiter an Ansehen.“ Besonders, wenn eine so renommierte Autorin wie Bettina Baltschev mitsamt ihrem Verlag dabei ist. Die Preisträgerin des Jahres 2021 wurde für ihr Buch „Am Rande der Glückseligkeit. Über den Strand“ ausgezeichnet. „Es ist ganz und gar ein Buch im Sinne Seumes“, erklärt Lutz Simmler die Entscheidung für ein aufklärerisches Buch ohne belehrenden Unterton, in dem der Strand „zum Brennglas auf politische Ereignisse und historische Prozesse wird“.

Der Preisträger 2023 ist der Schriftsteller Jörg Jacob. „Aus der Stadt und über den Fluss – Zwölf Versuche über das Gehen! heißt das ausgezeichnete Werk, für das die Jury sich einstimmig entschied.

Das Preisgeld von Höhe von 3000 Euro stiftet die Sparkasse Muldental.

Mehr zum Preis

Lutz Simmler aus Grimma-Höhnstedt ist mit dem Göschenhaus, das Seumes Erbe bewahrt, aufgewachsen. „Wir sind uns alle der Bedeutung dieses kostbaren Erbes bewusst“, erzählt er. Vieles funktioniert so gut, weil man sich kennt und einander hilft. Die selbstverständliche Zusammenarbeit in Stadt und Region schafft die Grundlage für die Dynamik, die erst die internationale Ausstrahlung ermöglicht.

Als einmal im Garten des Göschenhauses ein geplantes Konzert durch plötzlich einsetzenden Regen ins Wasser zu fallen drohte, schloss Kirchenvorstand Lutz Simmler kurzerhand die Kirche auf. Das Konzert war gerettet. Anderntags schenkte ihm die Museumsleiterin Seumes „Apokryphen“. Den „Spaziergang“ hatte er schon, wie wahrscheinlich jeder in Grimma. „So kam eins zum anderen“, erzählt er. „Seume hat’s mir angetan.“

Netzwerke sind dazu da, sich gegenseitig Rückenwind zu geben, waren wir uns einig, und sicher wird auch hier „eins zum anderen kommen“.
Ich halte Sie an dieser Stelle über die Aktivitäten der Seume-Gesellschaft auf dem Laufenden. Seume tut’s nämlich jedem an, der einmal mit ihm Berührung kam.